Der EuGH-Fall C‑18/18 “Glawischnig-Pieszek gegen Facebook” hat Schlagzeilen gemacht. Wir analysieren das Urteil. Was muss Facebook künftig wirklich tun?

Im Urteil des EuGH finden sich drei Punkte. Das jeweilige nationale Gericht kann gemäß EU-Recht den jeweiligen Provider auffordern:

  1. rechtswidrige Inhalte wie Beleidigungen oder rufschädigende Äußerungen sowie deren Kopien zu löschen oder zu blockieren, und zwar egal, wer die jeweilige wortgleiche Kopie des Inhalts hochgeladen hat. Es ist also nicht nur das ursprüngliche Posting betroffen sondern auch alle geteilten oder frisch hochgeladenen Kopien. Wurde also eine Beleidigung z.B. als Screenshot wortgleich von anderen weiterverbreitet, ohne mit dem ursprünglichen Posting verbunden zu sein, so sind auch diese Postings zu entfernen. 
  2. auch sinngleiche Postings zu entfernen, sofern das nationale Gericht genau definiert hat was als sinngleich zu verstehen ist. Facebook darf hier nicht selber interpretieren, was denn ein sinngleicher Inhalt ist 
  3. diese Entfernung weltweit im Rahmen des einschlägigen internationalen Rechts durchzuführen.

Da das Urteil nicht unbedingt einfach ist, habe ich ein Erklär-Video erstellt, das den Sachverhalt und einige Konsequenzen erklärt.

Wichtig ist zu verstehen, dass Facebook bzw. der Provider nicht von sich aus tätig werden muss sondern nur auf Grund eines nationalen Gerichtsurteils. Dieses Gerichtsurteil muss genau definieren, wie der rechtswidrige Inhalt lautet, was als “sinngleich” zu gelten hat. Vor allem muss sich das Gericht überlegen, wie die internationale Rechtslage im konkreten Fall aussieht.

Internationale Problematik

Innerhalb des eigenen Landes kann das Gericht natürlich die Löschung verfügen. Für die Löschung in anderen Ländern muss das Gericht die diesbezüglichen internationalen Regeln analysieren und beispielsweise das Grundrecht auf Meinungsfreiheit mit berücksichtigen. Das ist eine höchst komplexe Materie, die die Juristerei noch eine Zeit lang beschäftigen wird. Man kann jedenfalls sagen, dass die Überschrift “Facebook muss jetzt weltweit löschen” unrichtig ist.

Weiters ist auch problematisch, dass es unter Umständen keine übergeordnete Instanz gibt. Wenn ein nationales (Höchst-)Gericht im EU-Ausland entgegen der internationalen Rechtslage eine Löschung verfügt, so muss sich Facebook nicht daran halten. In so einem Fall wäre der EuGH nicht zuständig. Vor welchem übergeordneten Gericht man sich dann treffen könnte ist unklar. 

Upload-Filter-Pflicht?

Es wird auch von einigen Seiten überlegt, ob Facebook nicht auch verpflichtet wäre, neben den bestehenden Postings nicht auch künftig neu hochgeladene Inhalte des gleichen rechtswidrigen Inhalts gleich vorsorglich zu filtern und zu blockieren. Hier hält das Urteil fest, dass zwar der Provider verpflichtet werden kann, andere bestehende bei ihm gespeicherte Postings anderer Benutzer, die den gleichen rechtswidrigen Inhalt haben, zu suchen und ebenfalls zu löschen. Es sieht aber keine Verpflichtung, dass der Provider vorsorglich neue Postings diesbezüglich zu überwachen hat.

Was bedeutet sinngleich?

Bezüglich der Entfernung sinngleicher Postings hält das Urteil fest, dass das nationale Gericht hier sehr genau definieren muss, wie die Sinngleichheit festzustellen ist. Es wird auch festgehalten, dass der Provider nicht dazu verpflichtet werden darf, eine autonome Beurteilung des Inhalts vorzunehmen, also selbst den Inhalt des Postings zu interpretieren. Genau diese Einschränkung macht aber diesen Punkt eigentlich unerfüllbar. Das Gericht kann zwar eine Liste von alternativen Formulierungen vorgeben. Aber schon das Hinzufügen eines einzigen Wortes oder Satzzeichens kann den Sinn und auch die Intention des Postings vollkommen ändern.

Lautete das Posting “X ist blöd” so genügt es, ein Fragezeichen anzuhängen, um eine Sinngleichheit fraglich zu machen. Denn hier müsste erst anhand des Zusammenhangs aus anderen Postings herausgelesen werden, was die Intention war, ob die Urheberin des Postings damit ebenfalls eine Beleidigung aussprechen wollte oder nur ihre Entrüstung ausdrücken wollte. Sprache ist nur selten eindeutig. Gerade eine solche Erforschung kann aber dem Provider nicht zugemutet werden. Auch wäre sie mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nicht vereinbar.

In der Praxis wird sich daher eine Verpflichtung zur Entfernung sinngleicher Postings als undurchführbar herausstellen, da das Gericht die dazu notwendigen Beurteilungsregeln nicht gleichzeitig kompakt und genau genug definieren kann, um eine signifikante Anzahl an sinngleichen Postings zu treffen. 

Fazit

All diese Überlegungen zeigen, dass die Beurteilung von juristischen Themen keine einfache Sache ist. Glauben Sie daher niemandem, der glaubt, so komplexe Urteile in einem Satz oder einer Überschrift zusammenfassen zu können.