Sehr geehrte Abgeordnete zum Europäischen Parlament,
sehr geehrte Damen und Herren,

die unterzeichnenden österreichischen Institutionen möchten im Rahmen dieses offenen Briefs ihre gemeinsamen Bedenken bezüglich des Kompromissvorschlags zur geplanten Urheberrechtsrichtlinie ausdrücken, über welchen Ende März im EU-Parlament abgestimmt werden soll.

Zwar begrüßen die Unterzeichnenden die Intentionen hinter der geplanten Richtlinie, durch einen harmonisierten Rechtsrahmen für das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt Anreize für Innovation, Kreativität, Investitionen und die Produktion neuer Inhalte zu schaffen. Der ausverhandelte Kompromiss läuft diesen Zielen jedoch klar zuwider, indem Innovation und Kreativität beschränkt werden und der Anreiz für die Etablierung
neuer Geschäftsmodelle geschwächt wird.

Dabei sind insbesondere gravierende Auswirkungen für europäische Klein- und Mittelunternehmen zu befürchten, wobei das augenscheinliche Ziel der Richtlinie, ein Level Playing Field für europäische und große USamerikanische Unternehmen zu schaffen, verfehlt wird. Aus diesem Grund wird der aktuelle Vorschlag auch von großen Teilen der Wissenschaft, Wirtschaft, Bevölkerung sowie selbst von Teilen der Kreativwirtschaft abgelehnt.
Die Anpassung des europäischen Urheberrechtsrahmens an das digitale Zeitalter stellt eine wichtige Chance zur Gestaltung der Zukunft des europäischen Lebens- und Wirtschaftsraums dar, welche eine gerechte Balance zwischen den Interessen der Kunstschaffenden, Unternehmen und der Bevölkerung schaffen sollte. Unserer Ansicht nach ist der aktuelle Kompromissvorschlag dazu aus den folgenden Gründen jedoch leider nicht
imstande:

Das geplante Leistungsschutzrecht schafft neue Probleme, ohne vorhandene zu lösen Die zunehmende freie Verfügbarkeit digitaler Inhalte hat zu einem veränderten Nutzerverhalten und neuen Herausforderungen für etablierte Presseverlage geführt. Umsätze werden verstärkt durch Einnahmen aus Onlinewerbung und nicht mehr durch Verkäufe des jeweiligen Presseerzeugnisses generiert, wodurch eine
starke Abhängigkeit von Websiteaufrufen generiert wurde. Obwohl ursprünglich dazu gedacht, Presseverlegern einen Anteil an der Wertschöpfung durch die Verwendung ihrer Inhalte speziell durch News-Aggregatoren und Suchmaschinenbetreiber zuzusprechen, geht der nun vorliegende Artikel 11 weit darüber hinaus und birgt Gefahren für den freien Informationszugang. Die Erfahrungen in Spanien und Deutschland haben zudem bereits gezeigt, dass die Einführung von Leistungsschutzrechten hierzu keinen Lösungsansatz bringen würde. Vielmehr würden dadurch gerade kleinere Medien eher unverhältnismäßig benachteiligt werden. Daneben wird durch den Vorschlag auch die Etablierung von innovativen Geschäftsmodellen auf Basis von im Internet frei verfügbaren Informationen, etwa im Bereich der Textanalyse durch künstliche Intelligenz, verhindert und damit die Entwicklung einer entsprechenden zukunftsorientierten Industrie in Europa erschwert. Leistungsschutzrechte bringen somit eine „lose-lose“ Situation sowohl für Journalisten, Presseverleger, Anbieter von Suchdiensten, Newsportalen sowie nicht zuletzt Nutzerinnen und Nutzer und stehen dem Bestreben nach einem verbesserten,fortschrittlichen Urheberrecht klar entgegen.

Trotz der wörtlichen Ausnahme aus Artikel 11 ist die Zukunft der Nutzung von Hyperlinks erheblich gefährdet, da diese in der Regel im Zusammenhang mit kurzen Textausschnitten (Snippets) verwendet werden, deren Zulässigkeit jedoch unter den Vorgaben der Richtline zweifelhaft erscheint. Mangels einer konkreten Definition „einzelner Wörter“, wird dieser Begriff womöglich erst durch den Europäischen Gerichtshof geklärt werden
müssen und lässt bis dahin zahlreiche Inhalteanbieter in Ungewissheit. Hiervon werden auch zahlreiche private Betreiber von Online-Blogs und ähnlichen Informationsseiten betroffen sein. Angesichts der äußerst weiten Auslegung von „kommerziellen Tätigkeiten“ durch den EuGH in der Vergangenheit wird die ebenfalls enthaltene Ausnahme für nicht-kommerzielle Tätigkeiten wohl nur äußerst selten angewendet werden.

Von einer Verpflichtung zu Upload-Filtern profitieren vor allem etablierte Online-Plattformen
Obwohl im Gesetzestext nicht ausdrücklich erwähnt, ist eine Umsetzung von Artikel 13 ausschließlich durch Verwendung von Upload-Filtern möglich. Die Entwicklung und Anwendung der entsprechenden Software ist in der Praxis mit hohen Kosten verbunden, welche wiederum nur von einigen großen Unternehmen getragen werden können. Diese Unternehmen verfügen zum Teil bereits über eine entsprechende Technologie, während
gerade Klein- und Mittelunternehmen erst in diese investieren müssten und dadurch weiter benachteiligt werden. Der durch die Richtlinie angestrebte Zweck, gerade den europäischen Markt zu stimulieren, wird damit klar verfehlt. Vielmehr ist eine Konzentration der bereits etablierten großen Online-Plattformen zu erwarten. Darüber hilft auch die enthaltene Ausnahmebestimmung für Start-Ups nicht hinweg, da diese nur auf drei Jahre
beschränkt ist, ein Zeitraum in dem neue Unternehmen in der Regel nicht ansatzweise dazu im Stande sind, zu etablierten Unternehmen aufzuschließen. Zudem werden durch diese Einschränkung bestehende Klein- und Mittelunternehmen bereits ab In-Kraft-Treten der Richtlinie vor enorme Herausforderungen gestellt. Die Erfahrung mit Upload-Filtern hat darüber hinaus gezeigt, dass es nicht möglich ist, die entsprechende
Software auf die Feinheiten des europäischen Urheberrechts, welches durch zahlreiche nationale Ausnahmebestimmungen geprägt ist, einzustellen. Angesichts des strikten Haftungsregimes für Online-Plattformen ist zu erwarten, dass im Zweifel eher mehr Inhalte blockiert werden als notwendig, wodurch sowohl Auswirkungen auf den freien Informationszugang sowie auch auf die Kunstschaffenden selbst, deren Inhalte
ebenfalls herausgefiltert werden können, zu erwarten sind. Darüber hinaus wird Online-Plattformen dadurch die Aufgabe übertragen über die Rechtmäßigkeit von Nutzerinhalten zu urteilen, eine Entscheidung, die bislang den Gerichten vorbehalten war. Eine solche Auslagerung staatlicher Aufgaben an private – und zumeist auch nicht europäische – Unternehmen ist unserer Ansicht nach in einer demokratischen Gesellschaft bedenklich.

Es zeigt sich daher, dass sowohl Artikel 11 als auch Artikel 13 Unternehmen, Kunstschaffende und Nutzerinnen und Nutzer gleichermaßen vor erhebliche Nachteile stellt, denen kein klarer Vorteil gegenübersteht. Hierdurch werden sowohl die Ziele der Richtlinie als auch eine gerechte Balance der involvierten Interessen klar verfehlt. Aus diesem Grund ersuchen wir Sie, trotz etwaiger anderer Parteilinie auf europäischer Ebene, den Kompromissvorschlag im Rahmen des Plenarvotums Ende März abzulehnen, um eine Debatte für ein tatsächlich zukunftsfittes Urheberrecht im digitalen Zeitalter im Rahmen der nächsten Legislaturperiode zu ermöglichen.

Hochachtungsvoll,

Unterzeichner des gemeinsamen Briefes

2019_Offener_Brief_EU-Copyright-RL

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Roland Giersig

Vizepräsident bei Digital Society
Roland Giersig ist Physiker, studiert Rechtswissenschaften, ist Sicherheitsexperte und Inhaber und Geschäftsführer der Firma SafeSec. Seine Anliegen sind besonders die Transparenz der öffentlichen Verwaltung und die Einhaltung der Grundrechte im digitalen Raum.
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