Die Corona-Pandemie ist pures Exkrement. Sie bringt unsere scheinbar gut eingefahrenen Prozesse an ihre Grenzen und zeigt uns – und das ist wohl positiv zu sehen – wo wir besser werden können und müssen. Zum Beispiel beim Gesetzgebungsprozess.

Bisher liefen Gesetzgebungen im besten Fall so: eine Arbeitsgruppe mit entsprechendem juristischem Sachverstand, beispielsweise in einem Ministerium, nimmt sich eines Themas, eines Problems an. Sie lädt einen größeren Kreis an Betroffenen zu einer Diskussionsrunde ein, bei der Bedürfnisse und Anforderungen erhoben werden. Auf Basis diese Gespräche verfasst sie einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Zu diesem Gesetzesentwurf werden entsprechende Erläuterungen beigestellt, die erklären, was der Sinn und Zweck der diversen Regelungen ist und welche Ziele man mit der Norm erreichen will. Zu diesen Zielen gehört auch das Einhalten von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, was in einer Wirkungsfolgenanalyse behandelt wird. Idealerweise werden auch gleich grundrechtliche Rahmenbedingungen behandelt und deren Einhalten entsprechend analysiert.

Symbolbild Gesetzgebungsprozess

Der Gesetzesentwurf wird einer mehrwöchigen öffentlichen Begutachtung unterzogen, bei der juristische Fachleute, aber auch Betroffene ihre Bedenken und Argumente einbringen können. Diese Argumente werden neutral bewertet und eingearbeitet. Sodann wird der Entwurf im Parlament in Ausschüssen und im Plenum beraten und schließlich beschlossen und kundgemacht.

Das dauert. Zu lange.

Dieser Gesetzwerdungsprozess dauert in Krisenzeiten zu lange, weswegen man hier lieber auf Verordnungen zurückgreift. Diese haben bereits durch ein vorher verabschiedetes Ermächtigungsgesetz einen entsprechend klar definierten Wirkungsbereicht innerhalb klarer Schranken und sind daher weniger fehleranfällig. Sollte man meinen. Denn die Qualität der Verordnung hängt stark von der Qualität des Rahmengesetzes ab. Gibt dieses zu wenig klare Vorgaben, setzt es zu wenig klare Grenzen, dann können in der Verordnung plötzlich auch überschießende Regelungen drinnen stehen, die womöglich sogar grundrechtswidrig sind.

Also sollte man besser auch die Verordnungen einer Begutachtung unterziehen? Doch dazu fehlt in Krisenzeiten oftmals die Zeit. Steigende Infektionszahlen brauchen Reaktionen innerhalb von Tagen, da geht sich selbst eine einwöchige Begutachtungsfrist nicht aus.

Wie kann man das Problem angehen?

IT-affinen Personen in der Leserschaft wird die Ähnlichkeit der Gesetzwerdung mit Prozessen aus der Software-Entwicklung aufgefallen sein. Dort schreibt man erst mal Anforderungen (Erläuterungen), also Ziele, die man mit der Software erreichen will, schreibt dann einen Software-Entwurf und weist dann mit einer (Wirkungsfolgen-)Analyse (Testen oder Code-Reading) nach, dass die Ziele auch erreicht wurden. Was liegt also näher, als Anleihen bei etablierten Software-Entwicklungsprozessen zu nehmen, um Probleme in der Gesetzgebung zu beheben?

Gesetzgebungsprozess als agile Software-Entwicklung

Hier fallen mir besonders die agilen Entwicklungsmethoden ein mit ihren Continuous-Delivery-Konzepten. Statt viel Energie und Zeit in die anfängliche Fehlerfreiheit zu stecken konzentriert man sich hier auf eine rasche Behebung von Fehlern durch kurze Freigabezyklen.  Was bedeutet das für Gesetze und Verordnungen? Statt diese nur einmal vorher zu prüfen und zu begutachten, wäre ein kurzlebiger Verbesserungszyklus besser. Ein Beispiel, damit man sich den Prozess besser vorstellen kann:

  • Eine Verordnung wird am Freitag kundgemacht, der Inhalt danach entsprechend öffentlich erklärt (und nicht umgekehrt, ok?).
  • Die Verordnung tritt am Montag darauf in Kraft.
  • Ab Veröffentlichung haben alle Betroffenen die Möglichkeit, Feedback einzubringen.
  • Dienstag ist Redaktionsschluss.
  • Die bis dann vorgebrachten Einwendungen werden am Mittwoch und Donnerstag eingearbeitet.
  • Später eingebrachte Einwendungen werden einfach in der nächsten Runde berücksichtigt.
  • Am Freitag wird eine verbesserte Version der Verordnung kundgemacht. Auch diese muss noch nicht perfekt sein.
  • Der Prozess wiederholt sich.

Der Prozess bedarf natürlich entsprechender juristischer bzw. personeller Resourcen, die jedoch nach den ersten Runden rasch abnehmen, so nicht neue Änderungen eingearbeitet werden müssen.

Die Vorteile liegen klar auf der Hand.

  • Grundrechtsbedenken oder überschießende Regulierungen bzw. Strafen können rasch behoben und korrigiert werden.
  • Der Prozess ist transparent und dadurch vertrausenseinflößend, man kann die Reaktionen auf eingebrachte Bedenken nachvollziehen.
  • Wird man auf Grund einer überschießenden Regelung bestraft, so kann man durch Einspruch eine Neubewertung des Sachverhalts nach der aktuellsten Rechtslage erreichen. Da fällt dann möglicherweise die Strafe weg, weil die überschießende Regelung in der Zwischenzeit korrigiert wurde. Das stärkt das Gerechtigkeitsgefühl und Vertrauen in das System.

Das einzige Problem das ich sehe ist, dass ein solcher transparenter und interaktiver Gesetzgebungsprozess einiges an Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein verlangt, um eine solch offene Fehlerkultur zu leben. Und das entspricht so gar nicht der österreichischen Seele