Wir hatten gestern einen großartigen Digitalk zum Thema Bürgerbeteiligung. Diskutiert haben Phillipe Narval (Geschäftsführer Forum Alpbach und Buchautor), Reinhard Todt (Bundesratspräsident a.d.) und Werner Illsinger (Digital Society) – moderiert von Andreas Kovar (Kovar & Partner). Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle Diskutanten am Podium und an alle Teilnehmer für die ausgezeichneten Diskussionsbeiträge.
Bürgerbeteiligung unerwünscht
Aus meiner Sicht war aus der Diskussion heraus recht klar, dass auf Bundesebene Bürgerpartizipation nicht gewünscht ist. Das wird zwar niemand in dieser Deutlichkeit sagen, aber es gibt zwei Punkte, die aus Bundes-Sicht dagegen sprechen, die Bürger einzubinden:
- Angst vor Kontrollverlust
Wenn andere eingebunden werden und eine breite Diskussion zugelassen wird, hat die Politik Angst, die Kontrolle darüber zu verlieren, was passiert. Man kann die Agenda nicht mehr kontrollieren. Das ist aus meiner Sicht sehr vergleichbar mit der Angst von Managern in Unternehmen vor Kontrollverlust. Auch dort verlangt die digitale Transformation eine andere Art der Führung und auch dort tun sich Manager schwer damit. - Geschwindigkeit
Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Ideen braucht Zeit. Bürgerpartizipation verlangsamt also den Prozess der Entscheidungsfindung. Auch aus diesem Grund ist Bürgerbeteiligung nicht gewünscht.
Diese Angst trifft nicht nur für den Einsatz neuer Technologien zu, sondern ist schon derzeit zu bemerken. Beispielsweise gibt es für neue Gesetze eine Begutachtung. Empfohlen wird eine Frist von 6 Wochen, bei der verschiedenste Interessensvertretungen (aber auch normale Bürger) neue Gesetzesvorschläge kommentieren können. Diese Frist wurde schon in der Vergangenheit selten eingehalten. Unter der neuen Regierung sind die Begutachtungszeiträume nochmals gesunken. Teilweise gab es nur ein paar Tage die Möglichkeit, diese Vorschläge zu kommentieren. Es ist also hier zu erkennen, dass Feedback erst gar nicht gewünscht ist.
Diese Diagnose wird auch vom Demokratiebarometer bestätigt: http://www.democracybarometer.org/
Tools sind der treibende Faktor
Oft werden Projekte von der vollkommen falschen Seite aufgezäumt. Im Bereich der Digitalisierung werden oft Tools betrachtet – und daraus Projekte oder auch Erfahrungen abgeleitet. Facebook ist nicht dazu geschaffen, den politischen Diskurs zu treiben. Facebook ist dazu optimiert, möglichst viel Werbung zu verkaufen. Daher werden marktschreierische Artikel bevorzugt, die viele Klicks bringen. Es etabliert sich daher eine Bierzeltatmosphäre. In Bierzelten werden im realen Leben aber auch selten sachliche gute politische Diskurse geführt.
Es gibt wenige Tools, die dafür gemacht wurden, dass politische Diskurse partizipativ darüber geführt werden können. Pnixnet, das auf Initiative von Andreas Kovar entwickelt wurde, ist eines der wenigen Tools in diese Richtung. Philippe Narval sieht hier die Notwendigkeit, dass der GovTech Sektor stärker gefördert wird, um Entwicklung von Technologien anzuregen.
Ich denke, dass es hier auch sehr notwendig ist, zuerst die bestehenden Probleme zu analysieren und dann Technologien zu suchen, die die bestehenden Probleme zu lösen helfen. Es muss zuerst ein Plan erstellt werden, und dann nach diesem Plan Technologien ausgesucht bzw. weiterentwickelt werden. Es kommt ja niemand auf die Idee, seinen Hausbau mit der Auswahl einer Mischmaschine zu beginnen.
Parlamentarismus
Eine weitere Problematik ist die, dass auch der Parlamentarismus in Österreich mehr Transparenz und mehr Lebendigkeit vertragen würde. Im Europaparlament ist das Stimmverhalten aller Europaabgeordneten auf der Website des Europaparlaments nachlesbar. Dort sieht man, dass bei weitem nicht alle Abgeordneten einer Fraktion dasselbe Abstimmverhalten zeigen. Die Mandatare üben das aus, was auch in der österreichischen Verfassung verankert wäre: das Freie Mandat. Die Verfassung sagt in Artikel 56: “Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden”. De facto gilt aber der Klubzwang. Wer nicht macht, was der Partei genehm ist, landet auf einem nicht wählbaren Listenplatz. Auch das schwächt die kritische Auseinandersetzung mit Themen im Parlament.
Die politischen Parteien scheinen auch Angst davor zu haben, die eigenen Parteimitglieder intern einzubinden. Die SPÖ hat für ihre Organisationsreform eine Mitgliederbefragung durchgeführt. Immerhin 37.000 Menschen haben daran Teil genommen und sich mehrheitlich für mehr Mitbestimmung ausgesprochen.
Positive Beispiele
Philippe Narval hat für sein Buch „Die freundliche Revolution: Wie wir gemeinsam die Demokratie retten“ positive Beispiele zusammengetragen. In Österreich beispielsweise funktioniert die Partizipation auf Gemeindeebene in Vorarlberg sehr gut. Es gibt dort viele Best Practices. Dafür verantwortlich sieht er das vom Land etablierte Zukunftsbüro. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20070215_OTS0211/zukunftsbuero-denkwerkstatt-fuer-nachhaltige-entwicklungen.
Auch Reinhard Todt berichtet über erfolgreiche Bürgerpartizipationsprojekte auf Gemeindeebene z.B. im burgenländischen Hirm.
Partizipation scheint auf lokaler Ebene also viel einfacher zu sein, als auf Bundesebene. Ein Grund könnte dafür auch sein, dass hier oft mehr Sachprobleme im Vordergrund stehen und nicht ideologische Themen.
Dringender Handlungsbedarf
Eine Publikumsmeldung drängt die Politik zum Handeln. Beispiele wie Cambridge Analytica, die Finanzierung durch den Milliardär Bob Mercer und die Involvierung von Steve Bannon im Europawahlkampf zeigen, dass dringender Handlungsbedarf gegeben ist. Cambridge Analytica ist deswegen so gefährlich, weil hier aktuelle Technologien verwendet wurden (was natürlich legal ist), aber auch mit illegalen Methoden (Datenmissbrauch) gearbeitet wurde, um Wahlen zu beeinflussen (Beispiel: Brexit, Trump).
Die Politik ist zum einen gefordert zu prüfen, ob die aktuellen Regelungen für nicht erwünschte Eingriffe in den Wahlkampf ausreichend sind. Verstöße gegen diese Gesetze müssen zum anderen aber auch Konsequenzen haben (siehe österreichische Wahlkampffinanzierung aber auch Datenmissbrauch bzw. illegale Datenweitergabe).
Motivation
Wenn man Bürger motivieren möchte, sich mehr in das politische Leben einzubringen, muss auch erkennbar sein, dass es Sinn macht. Es ist frustrierend (auch für Politiker) Zeit und Energie zu investieren, nur um zu erkennen, dass erarbeitete Ideen schubladisiert werden.
Ein Beispiel dafür sind auch die Projekte des Bundesrates zum Thema digitale Transformation, bei dem zwar viele gute Inputs gesammelt wurden. Fertig ausgearbeitete Konzepte wurden jedoch nicht weiterverfolgt.
Lösungsansätze
Mögliche Lösungsansätze
- Auf lokaler Ebene beginnen
Initiativen auf lokaler Ebene (Gemeinden, Länder) haben offensichtlich mehr Chancen auf Erfolg. Wenn Erfolge geschaffen und aufgezeigt werden können, wächst damit auch der Druck auf den Bund. - Best Practice Sharing
Positive Beispiele aufzeigen und verbreiten. Es ist wichtig, Erfolge breit bekannt zu machen. Misserfolge und Bedrohungen verbreiten sich in Windeseile, bei der Verbreitung von positiven Beispielen ist daher mehr Energie notwendig. - Schulung / Unterstützung
Das Zukunftsbüro in Vorarlberg zeigt, dass Unterstützung und die Vermittlung von Wissen im Bereich der Digitalisierung als Keimzelle beiträgt, derartige Projekte zu fördern. Es zeigt sich aus diesem Beispiel klar, dass – wenn es Schulung / Aufklärung und konkrete Unterstützung und Vernetzung gibt – daraus etwas wachsen kann. - Fanclub für Demokratie
In Österreich ist die Unterstützung für Tiere ausgeprägter als die Unterstützung für die Demokratie. Es gibt mehr Tierhilfevereine als es Organisationen gibt, die sich mit der Verbesserung unseres Lebens beschäftigen. Hier wäre laut Philippe Narval dringend Aufholbedarf gegeben.
Wir werden diese Themen beim nächsten mEATup zum Thema Bürgermitbestimmung am 20.11. weiter diskutieren und überlegen, wie die Digital Society sich hier konstruktiv einbringen kann. Wir würden gerne mit unseren Mitgliedern so ein Fanclub für die Demokratie werden.
- Über den Autor
- Artikel
Werner Illsinger ist systemischer Coach, Unternehmensberater sowie Lektor an der FH-Kärnten. Sein Herzensanliegen ist es, dass Arbeit Spaß macht.
Die Beispiele, die Phillipe Narval erwähnt hat, waren ein gutes Beispiel, wie positive „Stories“ helfen, Aktivität zu erzeugen.
Einerseits durch die Lösungen selbst, die übernommen werden können.
Andererseits durch die positive Energie, die Motivation, die wirklich coolen Geschichten weiterzuerzählen.
Hier beginnt Beteiligung: Beim Teilen, beim Reden, beim Teilnehmen.
Tolle Diskussion, danke für den interessanten Abend