Abseits der gängigen KI-Vorurteile – die sie häufig zwischen Spielzeug, Abkürzung für Hausaufgaben und Terminator einordnen – wird sie zumeist als nicht wichtig genug erachtet, um sich eingehender damit auseinanderzusetzen. Für viele sind es eher die finanziellen Interessen der US-Konzerne an der KI, die einen überzogenen Hype verursachen. Ist diese Haltung ausreichend?

Um die Bedeutung von KI einschätzen zu können, sind einige grundlegende Aspekte zu klären, die gängige Fehleinschätzungen der aktuellen KI verdeutlichen:
KI ist nicht programmiert, sondern angelernt
Der Erfolg der aktuellen KI – nach über 50 Jahren ohne wirklich brauchbare Ergebnisse seit ihrer Erfindung – basiert darauf, dass ihre Intelligenz und ihr Wissen nicht von Menschen „programmiert“ wurden, sondern sie dies aus Lernmaterialien oder Rückmeldungen selbst gelernt hat. Dieses Maschinelle Lernen imitiert unser Lernen und ist ein Erkennen und Ausbilden von abstrakten Zusammenhängen bzw. Mustern. Dabei wird das Lernmaterial vieltausendfach und verlustbehaftet komprimiert. Es ist danach nicht ersichtlich, was genau gelernt wurde. Es kann, ähnlich zum Menschen, nur durch das Prüfen einer, von der KI aus ihren gelernten Mustern generierten, Antwort festgestellt werden.
Die für diese angelernte KI notwendigen Programme sind vergleichsweise klein, die benötigten Daten und Rechenleistungen sind jedoch gigantisch. Das Lernen ist dabei deutlich aufwändiger als das Antworten. Deshalb lernt aktuelle KI im Betrieb für ihr „Langzeitgedächtnis“ nichts dazu, jede KI-Arbeitssitzung mit ihrem „Kurzzeitgedächtnis“ wird am Ende vergessen. KI-Hersteller generieren parallel zum Betrieb gelegentlich neue KI-Versionen mit aktuellerem, besserem „Langzeitgedächtnis“. Das Abfragen der KI wird hingegen immer günstiger, um den Faktor 2–10 pro Jahr – das heißt, eine KI vergleichbar mit der ersten Version von ChatGPT läuft nun, nur 2 1/2 Jahre später, nicht nur in einer Rechenzentrums-Halle sondern bereits auf einem Laptop.
KI kann primär Kommunikation
Die aktuell erfolgreiche KI beschäftigt sich primär mit Formen der Kommunikation. Dies umfasst Kommunikation mittels Texten, Sprache, Bildern (statische oder bewegte) sowie abstrakter Sprache, wie beispielsweise Proteinfaltung oder Spielzüge. Die KI generiert dabei Inhalte, die zum ihr bekannten Kontext passen – sie ist eine generative KI.
Erfolgskriterien von KI
Generative KI auf Basis von Maschinenlernen ist laut Nobelpreisträger Demis Hassabis in jenen Bereichen erfolgreich, welche die drei folgenden Kriterien erfüllen:
- Verfügbarkeit großer Mengen hochwertiger Daten: KI-Systeme benötigen umfangreiche, qualitativ hochwertige Datensätze, um effektiv zu lernen. Beispielsweise wurde DeepMinds AlphaFold mit großen Mengen an Protein-Strukturdaten trainiert, was es ihm ermöglichte, 3D-Proteinstrukturen mit bemerkenswerter Genauigkeit vorherzusagen.
- Überprüfbarkeit der Ergebnisse: KI funktioniert am besten in Bereichen, in denen ihre Ausgaben gut überprüft werden können. In wissenschaftlichen Bereichen wie der Biologie können von KI getroffene Vorhersagen gegen experimentelle Daten getestet werden, was die Zuverlässigkeit sicherstellt und das Vertrauen in KI-generierte Ergebnisse fördert.
- Klare Ziele und Bewertungsmetriken: Aufgaben mit klar definierten Zielen und messbaren Ergebnissen sind für KI-Lösungen besser geeignet. Spiele wie Go oder Schach bieten klare Regeln und Ziele, die es der KI ermöglichen, effektiv zu trainieren und den Fortschritt genau zu messen.
KI und Nachdenken
Die ersten Versionen der erfolgreichen KI antworteten immer spontan, ohne “nachzudenken”. Neue KI – sogenannte Reasoner KI-Modelle – können vor der eigentlichen Antwort einen Dialog mit sich selber führen, eine Art “Nachdenken über die Situation”. Dies ist zwar 10-100x aufwändiger in der Berechnung, aber liefert bei vielen Problemkreisen bessere Antworten.
KI und Werkzeuge
Gute KI, wie beispielsweise ChatGPT, Gemini, Claude, etc. kann sich selbständig externerer Werkzeuge bedienen, um Defizite auszugleichen. Sie kann beispielsweise nach Informationen im Internet suchen um aktuelles zu erfragen, oder für komplexe Mathematikaufgaben sich eines Mathematik-Expertensystems bedienen.
KI Probleme
Ja, die KI halluziniert mehr als wir Menschen konfabulieren (beides sinnähnliche Begriffe der jeweiligen Fachleute). Und sie kann missbräuchlich verwendet werden, wird auch unsere Gesellschaft drastisch ändern – wahrscheinlich noch mehr als das Internet, Smartphones und soziale Medien zusammen. Dabei mit einem noch nie da gewesenen Innovations-Tempo.
Unterschätzen wir die KI?
Nach meiner Meinung eindeutig ja, weil wir das Innovations-Tempo und dessen Auswirkungen unterschätzen. Aktuell ist gute KI als Assistenz bereits in vielen Bereichen auf Universitätsniveau. Wir fokussieren aber eher darauf, die KI als Spielzeug zu verwenden bzw. sie mit ihren Defiziten lächerlich zu machen – anstatt sie als Werkzeug für den individuellen Nutzen einzusetzen.
Beispiel 1 – Programmieren
Programmieren erfüllt alle der Hassabis-Kriterien, um in absehbarer Zeit weitgehend von der KI abgelöst zu werden. Und viele Firmen arbeiten intensiv an KI-Produkten dafür, das Innovations-Tempo ist hier enorm.
Das heißt nicht, das alle Programmierer arbeitslos werden, sondern dass wenige, besser KI-verwendende Programmierer nun weit mehr an Ergebnissen liefern. Und die Mehrheit der Firmen bzw. Menschen, die dies übersehen, Wettbewerbsschwierigkeiten bekommen. Parallel dazu wird Programmieren vom überwiegend Hemmschuh und Mangel, zum Beschleuniger bzw. Überschuss.
Beispiel 2 – Wissenschaft und Forschung
Die zwei Nobelpreise in 2024 für KI – noch dazu in traditionellen Disziplinen – zeigen, dass im Bereich führenden Wissenschaft und Forschung die KI ein wesentliches Hilfsmittel darstellt. Es ist zu erwarten, dass die beste KI demnächst das Niveau von Dissertanten als Assistenten einiger Wissensbereiche übersteigt.
Neue KI wie beispielsweise openAI o3 erreichte einen IQ von über 132, ein Ergebnis besser als 98% der Menschen – der Qualifikation für “Mensa International”, als älteste und prestigeträchtigste Organisation von Menschen mit hohem IQ.
Ja, die KI hat noch immer Schwächen, wir können uns trotzdem deren Stärken entsprechend nutzbar machen, um neue Dinge zu (er-)finden.
Beispiel 3 – KI kann mehr als nur Imitieren
Die oft wiederholte Meinung einer sehr angesehenen Wissenschaftlerin ist, dass KI eigentlich nur das Lernmaterial interpretiert, gewissermassen ein statistischer Papagei sei. Und sie meint, das Lernmaterial sollte daher offengelegt sein, um nachprüfen zu können, was eine KI kann.
Moderne, gute KI ist aber weit mehr als dies. Sie hat Rückmeldung über ihre selbst generierten Antworten erhalten und dieses in ihre internen Antwortmuster eingepflegt. Ähnlich einem Menschen, der ausprobiert und von den Fehlern lernt. Und eine gute KI wurde angelernt, gut nachzudenken – es wurde bei eigenen Antworten nicht nur die Antwort, sondern vor allem auch die nachdenkende Vorgehensweise dazu bewertet.
Dieses Lernen führt erwiesenermassen zu unerwarteten Fähigkeiten der KI – Fähigkeiten, die aus dem Lernmaterial nicht ersichtlich sind. Ein kleines Beispiel dafür wäre, dass interne Analysen der KI Claude 3.5 feststellten, dass diese für sich eine neue Form von spontaner Addition zweistelliger Zahlen ohne Nachzudenken erfand – das gleichzeitige Schätzen des Ergebnisbereiches und der letzten Ziffer im künstlichen neuronalen Netz der KI.
Die besten KI-Modelle bedienen sich zusätzlich auch externer Werkzeuge, sowohl beim Antworten als auch bei deren internen Überlegungen dazu. Die KI lernte, welche Werkzeuge zu ihr in welchen Problemlösung-Bereichen zur Verfügung stehen, entscheidet selbst über deren Verwendung, und baut die von den Werkzeugen gelieferten Ergebnisse in ihre Problemlösung-Überlegungen ein.
Zusätzlich kann das Kurzzeitgedächtnis einer aktuellen KI nun tausende Seiten an neuen Informationen und lange Dialoge verdauen. Sie kann dann darüber, gemeinsam mit dem Angelernten im Langzeitgedächtnis, “nachdenken” und ihre Antworten liefern.
Diese Art von derzeitiger Spitzen-KI erreichen für Assistenz eben bereits Dissertanten-Niveau für viele Fachbereichen. Sie sind nicht mehr direkt über das Gelernte verifizierbar. Ihre Ergebnisse enthalten, ähnlich zu wissenschaftlichen Arbeiten auch meist Quellenangaben, um sie überprüfen zu können.
Fazit
Wir leben in einer Welle unglaublicher Innovationen – die KI ist eine, ziemlich grosse und schnelle davon. Und die Welle beschleunigt sich eher, als sich zu verlangsamen – die KI wird auch zunehmend für die schnellere Weiterentwicklung neuer, besserer KI eingesetzt.
Ich hoffe dieser Artikel hat Euch interessante Anregungen gegeben, und freue mich auf Rückmeldungen (ak).
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