Ich verfolge wie viele andere die Arbeitszeitdebatte. Ja, es braucht eine Flexibilisierung in den Arbeitszeitmodellen. Es ist aber stark zu bezweifeln, dass die letzte Aktualisierung der Arbeitszeitregelungen einer Lösung der Problematik näher gekommen ist. Aus meiner Sicht wird aber auf beiden Seiten mit richtigen und falschen Argumenten gekämpft und das wesentlichste in der digitalen Transformation übersehen.
Ich glaube, ein wichtiger Ansatz wäre zwischen sogenannten Wissensarbeitern und anderen Arbeitern zu unterscheiden.
Die Messung von Arbeitszeit misst bei einem Fließbandarbeiter auch seine Leistung. Wenn an einem Fließband pro Schicht eine bestimmte Anzahl von Gütern produziert werden, dann kann man exakt ausrechnen wie viele Stück pro Stunde ein Arbeiter fertigt. Aus dieser Welt kommt auch die Messung von Leistung über Zeit. Es gibt eine Stechuhr. Der Arbeiter muss dorthin kommen, wo sich die Produktionsmittel befinden (in die Firma/Fabrik). Die Messung von Zeit ist hier ein sehr effektives Mittel Leistung zu messen. Ein Fabrikarbeiter kann auch nicht leicht vom Fließband weg. Er kann sich nicht 15 Minuten zum Nachdenken auf einen Kaffee in die Kantine setzen (wenn er nicht gerade seine fix eingeteilte Pause hat). Bei solchen Arbeitern ist es auch sehr wichtig, dass sie konzentriert sind. Unkonzentriertheit führt zu einem hohen Verletzungsrisiko. Aus all diesen Gründen hat eine Arbeitszeitbeschränkung von 8 Stunden pro Tag einen Sinn. Es geht auch um die Gesundheit – oder sogar das Leben der Mitarbeiter.
Ein Wissensarbeiter – das ist jemand der mit Informationen arbeitet – ist aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung oft nicht mehr an die Anwesenheit im Büro gebunden. Selbst wenn er im Büro ist, ist er nicht daran gebunden nur an seinem Schreibtisch zu arbeiten. Ein Wissensarbeiter benutzt seine grauen Gehirnwindungen zur Arbeit. Wenn er nachdenkt, und Problemlösungen sucht, kann er vielleicht besser arbeiten, wenn er auf der Terrasse sitzt – oder in der Cafeteria im Büro. Zur Arbeit ist es notwendig sich mit anderen Kollegen auszutauschen. Ist es jetzt Arbeit, wenn er mit einem Kollegen / einer Kollegin in der Cafeteria sitzt und einen Kaffee trinkt, oder ist das Pause / Freizeit Noch schwieriger wird es wenn er von zu Hause oder unterwegs arbeitet. Wenn also jemand mit dem Notebook zu Hause am Balkon arbeitet – ist das Arbeitszeit. Wenn er im Büro auf Facebook surft, ist das Freizeit? Die Zeitmessung als Leistungsmessung für Wissensarbeiter heranzuziehen ist zum Einen nicht mehr effektiv. Zum anderen ist bei neuen Arbeitsmodellen im Zuge der digitalen Transformation die Zeit kaum mehr messbar.
Manager und Unternehmer haben oft Schwierigkeiten damit umzugehen. Es war leichter Menschen zu kontrollieren, als noch alle im Büro sitzen mussten, und es noch keine Smartphones, und das Internet gab. Jetzt geht es mehr und mehr darum mit Mitarbeitern zu vereinbaren, was man von ihnen erwartet – und auch darauf zu vertrauen, dass der Mitarbeiter seinen Job gut macht. Das wird auch nur dann funktionieren, wenn es ein gutes Betriebsklima und eine hohe Identifikation und Motivation der Mitarbeiter gibt. Einen Mitarbeiter mit sanftem Nachdruck dazu zu bewegen 12 Stunden zu arbeiten, wird wohl eher dazu führen, dass dieser unproduktiv wird, und er seine Zeit zwar am Schreibtisch verbringt. Es wird dabei aber nicht viel herauskommen. Ein 12 Stunden Tag ist hier ein Pyrrhussieg.
Was es bräuchte wäre eine Diskussion darüber wir Regelungen aussehen können, die nicht mehr nur zeit-basiert sind – und wie effektiver Arbeitnehmerschutz aussehen könnte, wenn Zeit nicht mehr das einzige Messkriterium für Leistung ist. Wissensarbeiter sind mittlerweile fast 24/7 über das Handy erreichbar und teilweise wird von ihnen auch erwartet, dass wenn der Chef etwas schnell braucht, dass sie das auch am Sonntag sofort erledigen. Die Freizeit und Arbeitszeit verschwimmt also. Zusätzlich haben viele Wissensarbeiter Überstundenpauschalen, und viele unternehmen führen keine Zeitaufzeichnungen mehr, bzw. führen Zeitaufzeichnungen nachträglich – die nur dazu dienen den gesetzlichen Anforderungen genüge zu tun.
Wir sollten daher die Diskussion im Bereich der Wissensarbeiter weg von Stunden verlagern, und sehen wie Regelungen aussehen könnten die diese neuen Arbeitsumgebungen berücksichtigen. Zeitmessung ist hier wie bereits beschrieben ohnehin nicht der richtige weg. Bei Fließbandarbeitern hingegen, bei Hochofenarbeitern, usw. ist ein Hinaufsetzen der Arbeitszeit zwar effektiv – weil das Unternehmen damit messbar mehr Leistung erhält. Jedoch ist auch die Gefahr, dass Mitarbeitern dabei etwas passiert eklatant höher. Zudem wird über kurz oder lang der Leistungsdruck auch dazu führen, dass mehr Arbeitnehmer ins Burnout getrieben werden (immerhin der Nr. 1 Faktor für Berufsunfähigkeitspensionen) und dass das Familienleben dabei auf der Strecke bleibt ist offensichtlich.
Auf der Strecke bleiben hier auf jeden Fall die Mitarbeiter die leicht ersetzbar sind, und wo der Chef es leicht hat, einen Mitarbeiter der nicht springt, wenn man es von ihm verlangt auszutauschen. Hochmotivierte Wissensarbeiter die wir in der digitalen Transformation benötigen werden wir so nicht bekommen.
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Werner Illsinger ist systemischer Coach, Unternehmensberater sowie Lektor an der FH-Kärnten. Sein Herzensanliegen ist es, dass Arbeit Spaß macht.
Die Frage bleibt halt leider unbeantwortet, was “richtige” Argumente sind , die von beiden Seiten (von Arbeitgebern und Arbeitnehmern) unbestritten als “richtig” anerkannt werden könnten. Offenbar dürfte es solche anerkannt richtigen Argumente nicht geben, denn sonst bräuchte man sich nicht wechselseitig vorwerfen mit falschen Argumenten pro bzw. kontra Arbeitszeitflexibilisierung zu argumentieren.
Richtig dürfte die Behauptung der Befürworter der Arbeitszeitflexibilisierung sein, dass es auch unter den Arbeitnehmern Befürworter des 12 Stunden-Arbeitstages gibt. Ob das allerdings auch für die daraus resultierende 60-Stunden Woche gilt, ist aber mehr als fraglich. Denn als Hauptargunemnt für 12 Stunden-Arbeitstage gilt immer noch die 4-Tage Woche – denn dann könnten Arbeitnehmer ja schon nach 4 Tagen ihr gesamtes Standard-Arbeitpensum von 40 Stunden erledigen und sich die restlichen 3 Tage der Woche ihren Hobbies und oder ihrer Familie widmen. Diese Arbeitnehmer ( aber auch unsere Politiker) übersehen dabei aber offenbar, dass mitllerweile vom Chef das Arbeitspensum “in der Saison” mit den neuen gestzlichen Bestimmungen auf 60 Stunden (5×12 Stunden) ohne Betriebsvereinbarung und ohne Konsultation eines Arbeitsmediziners angehoben werden kann – die 4 Tage-Woche mit dieser Regelung daher zumeist für die Arbeitnehmer nicht erreichbar sein wird.
Natürlich muss hier unterschieden werden zwischen Handwerksbetrieben und produzierenden Industriebetrieben die erhöhte Auftragslagen rechtzeitig abarbeiten müssen, um nicht ihre Kunden an die (vielleicht fernöstliche) Konkurrenz zu verlieren. Handwerksbetriebe – z.B. Installateure – können vielleicht mit der 12 Stunden-Regelung einen Wasserleitungschaden noch am gleichen Tag beheben und müssen nicht nach 8 Stunden ihr Werkzeug auf “der Stelle” fallen lassen – um “rigiden” Arbeitszeitregelungen zu genügen.
In jedem Fall, in dem behauptet wird, dass mit der bisher geltenden Arbeitszeitregelung (8 – max 10 Stunden täglich) nicht das Auslangen gefunden wird , könnte aber die Ursache dafür auch in – vielleicht bewusster – Fehlplanung zu suchen sein, um – z.B. gegen harte Komkurrenz – einen Auftrag doch noch zu erhalten.
In diesen Fällen – der weiterhin anhaltenden und bewussten – Fehlplanung und Fehlkalkulation, wird mit Sicherheit das Thema Arbeitszeitflexibilisierung mit der Einführung des 12 Stunden-Arbeitstages (und der 60 Stunden Arbeitswoche für einen Zeitraum vom max 3 Monaten im Jahr) nicht beendet sein.
Und jene Arbeitnehmer, die so gerne die 4 Tage-Woche hätten, scheinen vollkommen “vergessen” zu haben , dass diese auch über Arbeitszeitverkürzung – also Aufteilung der bestehenden ( bzw. zu erwartenden) Arbeitsmenge auf mehr Personal erreicht werden könnte. Ob mit oder ohne Lohnausgleich wäre dann – vermutlich branchenspezifisch unterschiedlich – Angelegenheit von Verhandlunegn zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern.
Alle Studien in Zusammnehang mit weiterer Digitalisierung (Automatisierung) der Arbeitswelt zeigen, dass ein je nach Auftraggeber der Studien unterschiedlich hoher Anteil von Arbeitnehmern ihre derzeitigen Tätigkeiten verlieren werden, diese sich daher für sie geeignete – vermutlich aber immer weniger werdende – Tätigkeiten mit einer immer größeren Zahl betroffener Arbeitneher teilen werden müssen, wollen sie sich dann nicht als “Sozialschmarotzer” abstempeln lassen.
Und nun noch einige Bemerkungen zu den immer wieder zitierten “Wissensarbeitern”.
Was unterscheidet diese denn von den “normalen” ( manuell tätigen ) Arbeitnehmern ?
Beide Kategorien von Arbeitnehmern sind Menschen mit persönlichen Bedürfnissen. Beide benötigen Ruhezeiten, körperliche und geistige Erholung/Entspannung, soziale Beziehungen, Anerkennung …
Beide haben private Verpflichtungen z.B. gegenüber ihrem Partner, ihren Kindern , ihren ( vielleicht pflegebedürftigen) Familienmitgliedern , engagieren sich in Vereinen ( wie z.B. auch der freiweilligen Feuerwehr, dem Kulturverein, Sportverein , in NGOs, als politische Mandatare … ). Und weibliche Arbeitnehmer tragen – entgegen allen Beteuerungen – immer noch die größere Verantwortung z.B.gegenüber ihren Kindern oder für pflegebedürftige Angehörige. Unter solchen Randbedingungen dürften daher Frauen offenbar nie “Wissensarbeiter” werden – oder ist vielleicht gerade dieser Umstand – die durch familiäre Verpflichtungen notgedrungen geingere ad-hoc Verfügbarkeit für betriebliche Belange mit der Grund für die – zufolge verschiedener Medienberichte – eher gringschätzende Umgang mit Frauen, gerade auch in High-Tech-Unternehmen des Silicon Valley.
Und es ist ein großer Unterschied,ob jemand in der Lage ist, seine Arbeitsbedingungen individuell aushandeln zu könnnen – und der Arbeitgeber zufolge der vielleicht geringen Auswahl an Alternativkandidaten für eine bestimmte Position im Unternehmen auf die meisten Forderungen des Wissensarbeiters daher eingehen muss – oder ob der Arbeitgeber aus einem großen Pool ähnlich geeigneter Kandidaten auswählen und daher selbst die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses nur entsprechend seinen eigenen (Unternehmens-)Interessen diktieren kann.
Genau für diese letzteren – zumeist zutreffenden – Fälle hat es bisher “Schutzgesetze” – wie z.B. das nun geänderte Arbeitszeitgesetz, Bestimmungen zur Mindestentlohnung … gegeben.
Und es ist bezeichnend für das derzeit offenbar weltweit vorherrschende ( Misstrauens-) Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern – zumindest in großen Unternehmen, wenn selbst IBM die Möglichkeit zu Home-Office-Arbeit wesentlich reduziert hat. An mangelnden technischen Kommunikations-/Protokollierungs- Möglichkeiten bzw. Verfügbarkeit dieser Technologien kann’s ja wohl nicht gelegen sein.
Lieber Erich,
Ich habe versucht ein paar der aus meiner Sicht “richtigen” Argumente in meinem Artikel darzulegen. Schade, dass es nicht angekommen ist. Natürlich gibt es eine Vielzahl von weiteren Argumenten und es bräuchte eine offene Diskussion (ohne Bretter vor dem Kopf) um eine für beide Seiten gute Lösung zu finden.
LG Werner
dazu noch ein gerade passender Artikel :
W i r s i n d a l l e A r b e i t e r v e r r ä t e r !
https://derstandard.at/2000083642168/Wir-sind-alle-Arbeiterverraeter
Userkommentar
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Wir leisten 45 Millionen unbezahlte Überstunden, rechnen die Arbeitszeit nicht richtig ab oder arbeiten im falschen Kollektivvertrag – und beschweren uns nicht. Das muss nun ein Ende haben
…
Als junger Arbeitnehmerin in der Probezeit war mir aber auch klar, dass deutlich mehr von mir erwartet wurde, als ich in dieser kurzen Zeit bewältigen konnte. So verinnerlichte ich schon an meinem ersten Arbeitsplatz: Ich leiste zu wenig für die normale Arbeitszeit und muss länger arbeiten, um das erwünschte Soll zu erzielen.
Damit war ich perfekt vorbereitet auf eine Karriere in der Wirtschaft, und es war fortan Teil meines Credos, “die Extrameile” zu gehen …
Die Arbeitszeit war mit einem All-in-Vertrag geregelt, und natürlich braucht so eine schicke Firma ja keinen Betriebsrat, obwohl sie weltweit übe 50.000 Mitarbeiter hat.
…
Also beschwerte ich mich nicht und tat mein Bestes. Ich verdoppelte drei Jahre in Reihe meine Umsätze. In diesem Zeitraum stieg mein Grundgehalt um vier Prozent. Ich nahm niemals Zeitausgleich, weil das für Innendienstmitarbeiter nicht vorgesehen war. Als ich versuchte, meine Kollegen auf diesen Missstand anzusprechen, wurde mir erklärt, ich solle doch froh sein, dass ich hier arbeiten kann …
Auch in dem letzten Unternehmen arbeitete ich ganz nach den Bedürfnissen des Unternehmens, aber immerhin mit ordentlicher Zeitabrechnung, und Zwölfstundentage waren eher die Ausnahme als die Regel – außer im vierten Quartal, aber das ist eine andere Geschichte.
Alle diese Kompromisse und Gesetzesbrüche machte ich, weil ich Erfolg haben wollte und die Firma vorwärts bringen wollte, wissend, dass es die Konkurrenz gleich macht. Nun will die Regierung das zum Gesetz machen. Und hier müssen wir einen Punkt machen und aufhören, uns gegenseitig das Wasser abzugraben.
Wir Angestellten in allen Branchen, die wir All-in-Verträge haben und alle unbezahlte Überstunden machen und eh länger bleiben, weil der Auftrag noch nicht fertig ist, und alle trotz verpflichtender Ruhezeit kommen, weil die Kollegin krank wurde, und alle die Fahrzeit nicht aufschreiben, weil es sonst über die zehn Stunden ginge – wir Streikbrecher müssen endlich aufhören, unsere eigenen Rechte und Gesetze, für die wir Arbeitnehmer gekämpft haben, selbst zu untergraben!
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Gehen Sie zur Gewerkschaft, noch ist sie nicht verboten! Bestehen Sie darauf, Ihre Arbeitszeit korrekt zu absolvieren, auch wenn es kurz ein bisserl ungemütlich wird. Bestehen Sie vor allem auf Ihrer Freizeit. Und zwar korrekt abgerechnet – 1:1,25, 1:1,50 oder 1:2.
Wir Arbeiterverräter leisteten laut Statistik Austria im letzten Jahr 250 Millionen Überstunden, 45 Millionen davon unbezahlt. Das sind 26.000 Vollzeitjobs, die nicht besetzt wurden, weil wir zu ängstlich und zu faul sind, unsere eigenen Interessen zu vertreten.
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Wenn Sie kein Anteilseigner sind, sind Sie eine Arbeitnehmerin – auch wenn die Firma Ihrer Frau oder Ihrem Mann gehört, sind Sie angestellt –, und heute ist der Tag, an dem Sie beginnen sollten, sich wie ein Arbeitnehmer zu benehmen – im Namen unserer Vorfahren, die den Achtstundentag erkämpft haben! Und weil wir Arbeitnehmer die progressive Kraft in diesem Land sind und nicht zu Zuständen wie vor 100 Jahren zurückwollen, soll unsere Forderung heute heißen: 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich als Normalarbeitszeit! Und auf dieser Basis können wir dann gerne darüber reden, ob wir ausnahmsweise auch einige Zeit bis zu 60 Stunden arbeiten würden, weil wir am Ende das Team sind, das hier die Arbeit macht.
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Und obige Aussagen/Erfahrungen gelten sicher in ähnlicher Form für alle Branchen;
Denn die Karotte, die man dem Esel vor die Nase hängt, damit er schneller läuft, kann er solange nicht erreichen, solange er nicht bemerkt, dass er sie selber vor sich hertragen muss und daher gar nicht auf die Idee kommt, sie vielleicht doch abzustreifen.