Wie wir bereits mehrfach berichtet hatten, versucht die ÖVP und allen voran der Innenminister Wolfang Sobotka, das “Sicherheitspaket” genannte Gesetzespaket vor den Wahlen durchzubekommen. In den letzten Tagen scheint die SPÖ aber nun – vermutlich aufgrund der harschen Kritik verschiedenster Interessensverbände kalte Füße bekommen zu haben.
Bundeskanzler Kern (SPÖ) sagt am Freitag am Rande eines gemeinsamen Truppenbesuches mit Verteidigungsminister Doskozil, dass man ein so heikles Thema nicht zum Wahlkampfthema machen sollte. Er mahnt mehr Ruhe in der Diskussion ein – und merkt an, dass man mehr Möglichkeiten für die Polizei in der Terrorismus und Verbrechensbekämpfung brauche, sei unbestritten.
Warum das unbestritten sei, bleibt der Kanzler aber schuldig. Österreich ist Gott sei Dank eines der sichersten Länder der Welt und von Terrorismus blieben wir bislang ebenfalls verschont. Auch die Kriminalität insgesamt in Österreich steigt nicht. In einem 10 Jahresvergleich ist sie sogar gesunken. In den letzten Jahren (seit 2010) befinden wir uns in einer Seitwärtsbewegung. Hier die offizielle Statistik des BMI:
Zusätzlich zu gesunkener Kriminalität ist auch die Aufklärungsquote ständig gestiegen:
Österreich ist also so sicher wie nie zuvor – und die Polizei leistet hervorragende Arbeit – und die Aufklärungsquote ist so hoch wie nie zuvor. Aber der Terrorismus – und wenn schon nicht in Österreich – so in Europa werden Sie sich vielleicht fragen? Da muss man doch etwas dagegen tun!
Sehen wir uns doch die Zahl der Terroropfer in Europa an:
Wir sehen hier eine Statistik der Terroropfer in Europa seit 1970. Überraschend für viele mag sein, dass es in der Zeit zwischen 1970 und Mitte der 90er Jahre – in Europa jährlich wesentlich mehr Terroropfer gab als derzeit. Wir sehen aber auch, dass der Terrorismus in den letzten beiden Jahren (2015 und 2016) im Vergleich zur sehr ruhigen Zeit in den 200er Jahren relativ hoch war. Ausreißer in diesen Jahren waren nur die Anschläge auf die Züge in Spanien und das Massaker von Anders Breivik in Norwegen 2004 und 2011.
Keiner unserer geschätzten Politiker traut sich – auszusprechen, was Fakt ist. 100%ige Sicherheit werden wir nie bekommen. Wenn wir in einer freien Welt leben wolen, werden wir es nicht verhindern können, dass sich jemand einen Lastwagen schnappt und wahllos Leute über den Haufen fährt, oder sich eine Bombe um den Körper schnallt und sich damit in einer belebten Gegend in die Luft jagt. Jemand der bereit ist, sein Leben zu opfern, den beeindruckt es nicht sonderlich, dass man ihn danach erwischen könnte.
Die Frage ist nun, warum es wirklich notwendig ist, die Sicherheitsbehörden mit allumfassenden Befugnissen auszustatten und unsere Freiheitsrechte dafür aufzugeben?
Das derzeit in Begutachtung befindliche “Sicherheitspaket” beinhaltet folgende Komponenten:
- Flächendeckende Vernetzung von Videokameras
Die Vernetzung soll nicht nur Kameras der Polizei umfassen, sondern auch Zugriff auf private oder halböffentliche Kameras erlauben. England ist eines der umfassendst Videoüberwachten Länder. Wie der Anschlag auf das Konzert in England beweist verhindern Kameras solche Anschläge – und auch keine anderen Verbrechen. Vor allem Selbstmordattentäter werden sich davon kaum abschrecken lassen. Einzig die Aufklärung könnte dadurch unterstützt werden. Durch Gesichtserkennungssoftware ist es allerdings mit Kameras mittlerweile möglich Personen zu erkennen und den Zeitpunkt der Anwesenheit an einem Ort zu protokollieren. - Kennzeichenerfassung aller Autos auf Österreichs Straßen durch die ASFINAG
Reise und Bewegungsfreiheit ist eine der Grundfreiheiten des Menschen. Wenn der Staat beginnt die Bewegung aller Automobile in Österreich aufzuzeichnen und auszuwerten, dann ist dies ein weitreichender Eingriff in die Privatsphäre. - Verbot von anonymen Wertkarten für mobile Telefone
Das Verbot von anonymen Wertkarten wird kein einziges Verbrechen verhindern, und auch nicht die Aufklärung erhöhen. Terroristen können leicht auf ausländische Wertkarten zurückgreifen, oder Datendienste verwenden, bei denen eine Telefonnummer nicht notwendig ist, um untereinander zu kommunizieren. - Ausweispflicht beim Kauf von Zug- und Bustickets
Auch dies ist eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Wenn Ausweise für Bus und Bahnreisen erforderlich sind, ist das ein weiterer Baustein zur Erstellung von vollständigen Bewegungsprotokollen der österreichischen Bürger. - Einführung staatlicher Spionagesoftware (Bundestrojaner)
Zur Abhören der gesamten elektronischen Kommunikation sollen s.g. Bundestrojaner eingesetzt werden. Es handelt sich dabei um Schadsoftware die existierende Sicherheitslücken von Betriebssystemen (PC, Handy, …) ausnützen und wie ein Virus in den PC eines zu überwachenden eingepflanzt werden. Um so etwas vornehmen zu können, müssen unentdeckte Sicherheitslücken in der Software vorhanden sein. Der Staat ist daher nicht interessiert daran diese an die Betriebssystemhersteller zu melden. Dies erzeugt eine Gefahr für alle. Wie gefährlich das ist hat der Ausbruch der Ransomware “WannaCry” vor einigen Wochen gezeigt, die auf eine derartige Lücke zurückging. Auch Betriebssystemhersteller warnen vor der Gefährlichkeit solcher Staatstrojaner. - Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung
Die Vorratsdatenspeicherung wurde in Österreich erfolgreich durch den Verfassungsgerichtshof gekippt. Es geht dabei um die Speicherung aller Kommunikationsdaten der Österreicher auf “vorrat” also ohne konkreten Tatverdacht. Da der Verfassungsgerichtshof diese Speicherung als Verfassungswidrig und überschießend aufgehoben hat, soll nun ein neues Verfahren “Quickfreeze” genannt eingeführt werden. Dabei soll auf Verlangen eines Staatsanwaltes (keines Richters) – die Kommunikationsdaten eines Betroffenen bis zu einem Jahr gespeichert werden. Der Betroffene würde darüber auch im Nachinein nicht informiert werden. - Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Schaffung neuer Straftatbestände („Staatsfeindliche Bewegungen“) und Beschränkung des Demonstrationsrechts
Diese beiden Punkte wurden bereits in Gesetzen am 26. April 2017 und 28. Juni beschlossen. Es wurden dabei eine Verlängerung der Anzeigefrist von 24 auf 48 Stunden eingeführt, sowie die Möglichkeit gegeben Versammlungen zu verbieten, wenn sie die Interessen anderer Staaten betreffen. - Ausweitung des Lauschangriffs auf private PKW
- Einsatz von Bundesheer im Inneren und die Aufrüstung des Heeres mit neuen Überwachungstechnologien
Das Bundesheer soll in Zukunft auch im Inneren weitreichende Befugnisse bekommen. Es gibt gute Gründe warum das Bundesheer derzeit auf den Einsatz im Katastrophenfall beschränkt ist, und die Aufgaben der inneren Sicherheit die Polizei übernimmt. Die Polizei ist für diese Aufgaben geschult und das Bundesheer hat als militärische Einheiten andere Aufgabenbereiche. - Ein neues Cybersicherheitsgesetz
Die Einführung von so weitreichenden Befugnissen würde uns sehr nahe an einen Orwellschen Überwachungsstaat bringen. Auch die Industrie warnt davor, dass dadurch der Wirtschaftsstandort Österreich nachhaltig beschädigt wurde.
Die Digital Society fordert stattdessen
- Mehr Analysten statt mehr Daten
Die Anzahl der gesammelten Daten ist schon jetzt unübersehbar, und alle Anschläge der letzten Zeit haben gezeigt, dass die Attentäter allesamt Polizeibekannt waren. Es gab allerdings zu wenige Ressourcen bei der Polizei um sich ausreichend um die Überwachung und Nachforschung der tatsächlich Verdächtigen zu kümmern. Stattdessen glaubt man mit der Überwachung der gesamten Bevölkerung das Problem lösen zu können. - Mehr gut ausgebildete Polizisten und gute Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden
Wenn Informationen nachgegangen werden muss, dann sind ausreichend Kapazitäten bei der Polizei erforderlich. Dies hat sich schon bei 9/11 gezeigt. Auch hier waren die Terroristen allesamt bekannt. Aufgrund schlechter Kommunikation und Zusammenarbeit – und vor allem durch das Vertrauen auf die elektronische Überwachung wurde 9/11 überhaupt erst möglich. - Bessere Integration und vertrauensbildende Maßnahmen
Der Anstieg der Gewaltdelikte 2016 ist vor allem auf Gewaltdelikte in Flüchtlingslagern zurück zu führen. Wenn Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, gibt es Probleme. Es ist daher darauf zu achten, dass Immigranten möglichst gut in unsere Gesellschaft integriert werden und dass Ghettobildungen so weit wie möglich vermieden werden. - Fakten und keine gefühlsbasierte Gesetzgebung
Fakten zeigen, dass wir in einem der sichersten Länder der Welt leben. Die Kriminalitätsrate zeigt, dass es sicher kleine Adaptionen braucht, aber wir keinen Orwellschen Überwachungsstaat benötigen, nur weil das subjektive Sicherheitsgefühl niedrig ist Am subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist auch die Politik nicht unschuldig. Statt die hervorragenden Leistungen der Polizei herauszustreichen wird Panik in der Bevölkerung geschürt.
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Werner Illsinger ist systemischer Coach, Unternehmensberater sowie Lektor an der FH-Kärnten. Sein Herzensanliegen ist es, dass Arbeit Spaß macht.
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