{"id":17014,"date":"2017-09-23T11:03:08","date_gmt":"2017-09-23T09:03:08","guid":{"rendered":"https:\/\/press.ccc.at\/dsnew\/?p=17014"},"modified":"2021-08-12T16:07:14","modified_gmt":"2021-08-12T14:07:14","slug":"sicherheit-ohne-ueberwachung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/digisociety.ngo\/2017\/09\/23\/sicherheit-ohne-ueberwachung\/","title":{"rendered":"Sicherheit ohne \u00dcberwachung?"},"content":{"rendered":"

Derzeit wird noch immer das von der \u00d6VP (oder muss man\u00a0Liste Kurz sagen?) geforderte und von Innenminister Sobotka und Justizminister Brandstetter vehement verteidigte Sicherheitspaket diskutiert. Vor der Wahl scheint das Paket nun nicht mehr durchsetzbar zu sein.<\/p>\n

Dieses Gesetzespaket wird von den Kritikern \u00dcberwachungspaket genannt – weil es vor allem \u00dcberwachung bringt. Ob es Sicherheit bringen kann sei dahingestellt und ist auch nicht \u00fcberpr\u00fcft worden. Argumentiert wird das Paket damit, dass man die notwendigen Werkzeuge ben\u00f6tige um Terror hintanzuhalten. Dieses Argument mit dem Terror kommt immer, wenn man versch\u00e4rfte Gesetzesregelungen einf\u00fchren m\u00f6chte. Es ist ein Totschlagargument. Willst Du Sicherheit – oder Freiheitsrechte. Beides kannst Du nicht bekommen – lautet hier das Argument. Es klingt logisch – ist es aber nicht. Die totale Sicherheit g\u00e4be es nur durch totale \u00dcberwachung. Und wir wollen nur das Beste f\u00fcr unsere B\u00fcrger. Sicherheit geht vor – wen k\u00fcmmern da doch unsere Freiheitsrechte?<\/p>\n

Kann es Sicherheit ohne \u00dcberwachung geben?<\/h2>\n

Wenn wir in die Vergangenheit blicken, dann ist zum einen zu sagen, dass \u00d6sterreich noch immer eines der Sichersten L\u00e4ndern der Erde ist. Die Polizei macht einen guten Job. Die Verbrechensraten sind im Vergleich zu vor 10 Jahren r\u00fcckl\u00e4ufig und die Aufkl\u00e4rungsquoten steigen Jahr f\u00fcr Jahr:<\/p>\n

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Quelle: BMI Sicherheitsbericht 2016<\/a><\/p><\/div>\n

Die Kriminalit\u00e4t, die den durchschnittlichen \u00d6sterreicher betrifft sinkt sogar besonders Stark (KFZ Diebst\u00e4hle – 10% – Wohnraumeinbruch -16%). Wir k\u00f6nnten also zufrieden sein. Es gibt da jedoch etwas wie das “Subjektive Sicherheitsgef\u00fchl”. Die \u00d6sterreicher f\u00fchlen sich – trotz dieser guten Zahlen unsicher. Es ist also nur ein Gef\u00fchl. Gef\u00fchle kann man \u00fcbrigens gut steuern. F\u00fchlen Sie sich sicher, wenn man Allerorts Soldaten sieht, die auf den Stra\u00dfen patrouillieren – vielleicht noch mit einem Sturmgewehr im Anschlag – oder so wie in \u00d6sterreich “nur” Botschaften oder andere kritische Infrastruktur<\/a> sch\u00fctzen?\u00a0Durch die Anwesenheit von Soldaten in den Stra\u00dfen f\u00fchle ich mich zumindest nicht sicherer – im Gegenteil. Dazu kommen dann noch immerw\u00e4hrende Medienberichte \u00fcber schlimme Dinge die in der Welt passieren. Teilweise sind diese Berichte auch frei erfunden (sogenannte Fake News<\/a>). Diese Berichte tragen ebenfalls dazu bei, dass wir uns unsicher f\u00fchlen, obwohl es nachweislich keinen Grund daf\u00fcr gibt.<\/p>\n

Dieses Unsicherheitsgef\u00fchl von uns wird nun herangezogen und argumentiert, dass unsere Freiheitsrechte eingeschr\u00e4nkt werden m\u00fcssen. Wir werden sogar von unserem Innenminister als Terroristen bezeichnet, wenn wir das nicht wollen. Jeder der gegen das Sicherheitspaket sei plane einen “Anschlag auf die Sicherheit \u00d6sterreichs” – so Sobotka.<\/p>\n

Worum geht es bei der anlasslosen \u00dcberwachung eigentlich? Es geht um den Aufbau eines Spitzelstaates nach DDR Vorbild. In der DDR legte die Staatssicherheit Akten \u00fcber alle DDR-B\u00fcrger an, in denen alle Informationen \u00fcber deren B\u00fcrger gespeichert wurden. Das war damals recht m\u00fchevoll, denn die Informationen mussten \u00fcber Informanten m\u00fchevoll gesammelt werden, und die Ablage war in Papierform. Es war also nicht ganz einfach Informationen zu finden, oder auch Querverbindungen herzustellen. Das musste alles manuell passieren.<\/p>\n

Heute ist das einfach. Der Staat, Geheimdienste und teilweise Sicherheitsbeh\u00f6rden haben in vielen L\u00e4ndern gro\u00dfe Freiheiten was das Sammeln von Daten betrifft. Die NSA und das englische GHCQ sammeln alle Daten die durch das Internet flie\u00dfen und speichern sie f\u00fcr einige Tage. Da die schiere Menge an Informationen von Menschen nicht ausgewertet werden k\u00f6nnen, \u00fcbernehmen diese Arbeiten Computer. Es wird nach Stichw\u00f6rtern gesucht, oder nach Verbindungen mit bekannten Personen. Wann immer der Computer etwas findet, was verd\u00e4chtig ist, dann werden Analysten eingeschaltet, die sich die Angelegenheit genauer ansehen. Die Analysten ersaufen in Daten – und k\u00f6nnen die gesammelten Datenberge nicht auswerten. Aber sie bekommen zwei Dinge: 1) Unendlich viel Geld um diese \u00dcberwachungssysteme aufzubauen und 2) das Gef\u00fchl der Allm\u00e4chtigkeit. Ersteres finanziert ganze Industrien, die sehr gut davon leben, dass diese \u00dcberwachungssysteme aufgebaut werden – und die auch sehr gro\u00dfes Interesse haben, dass diese Sache genau so bleibt – und auch viel Geld daf\u00fcr ausgeben um Lobbying zu betreiben. In \u00d6sterreich konnten wir unseren Innenminister im Fernsehen\u00a0dabei beobachten, wie er sich in Israel und im Silicon Valley davon informieren lie\u00df, welche \u00dcberwachungstechnologien die Hersteller von solchen Technologien<\/a> zu bieten haben.<\/p>\n

Aber brauchen wir nicht diese vielen Daten um die b\u00f6sen Buben zu finden? Nein. Viel wichtiger w\u00e4re – konkreten Spuren nachzugehen und mit klassischer Polizeiarbeit die b\u00f6sen Buben zu \u00fcberwachen und Spuren nachzuverfolgen. Bei allen Terroranschl\u00e4gen inklusive 9\/11 – waren die T\u00e4ter schon davor im Visier der Strafverfolgungsbeh\u00f6rden. Es waren nur nicht ausreichend Beamte zur Verf\u00fcgung um den Spuren nachzugehen (vermutlich, weil man aufgrund der Menge von Daten – gr\u00f6\u00dftenteils seinem eigenen Schwanz nachjagt). Was also viel wichtiger w\u00e4re ist – mehr Beamte zur Verf\u00fcgung zu haben die Spuren nachgehen – und auch mehr Beamte zur Verf\u00fcgung zu haben, die \u00fcber ausreichende Ausbildung in modernen Technologien<\/a> haben.<\/p>\n

England ist ein ausgezeichnetes Beispiel daf\u00fcr, dass Terroranschl\u00e4ge durch mehr \u00dcberwachung nicht verhindert werden k\u00f6nnen. In England gibt es so viele Kameras wie sonst nirgendwo – und die gesamte elektronische Kommunikation wird durch das GCHQ \u00fcberwacht. Gab es dadurch weniger Anschl\u00e4ge in UK? Nein. Es gab eine ganze Reihe von Anschl\u00e4gen.<\/p>\n

Warum halten wir aber die Aufweichung der Freiheitsrechte f\u00fcr derart problematisch? Nun – eine Demokratie braucht die M\u00f6glichkeit sich frei und unbeobachtet mit allen Themen auseinanderzusetzen. Es muss ein offener Diskurs m\u00f6glich sein. Die Einstellung unseres Innenministers ist schon Problematisch. Wer nicht f\u00fcr mich ist – ist gegen mich. Eine derartige Einstellung kombiniert mit den derzeitigen \u00dcberwachungsmethoden und Nutzung der Verf\u00fcgbaren Daten und Informationen kann leicht dazu f\u00fchren, dass derartige Technologien<\/a> gegen die Feinde des Regimes eingesetzt werden. In \u00d6sterreich unm\u00f6glich? Nun – in anderen Demokratien passiert das bereits des \u00d6fteren.<\/p>\n

Was ist also das Problem an den \u00dcberwachungspl\u00e4nen, bzw. den Methoden die den Zugriff auf die gesamten Kommunikationsdaten, die gesamten Verkehrsdaten (Zugriff auf die Kameras der ASFINAG), etc. verlangen? Sie sind allesamt anlasslose Datenspeicherung. Also die Speicherung von Daten von unbescholtenen B\u00fcrgern. Eine art Schleppnetzfahndung – in der Hoffnung, dass sich etwas im Schleppnetz verf\u00e4ngt. Das ist in einer Demokratie unzul\u00e4ssig. Der Staat ist nat\u00fcrlich f\u00fcr die Sicherheit seiner B\u00fcrger verantwortlich. Er darf aber nur einschreiten, wenn es einen Verdacht gibt – und wenn der Verdacht ausreichend argumentiert werden kann. Zum anderen braucht Macht Kontrolle. Daher gibt es in Demokratien die Gewaltentrennung. Es gibt die Gesetzgebung (Legislative), die Rechtssprechung (Judikatur) und die umsetzende Gewalt (Exekutive). Es gibt auch hier wieder gute Gr\u00fcnde, warum die Exekutive – die zur Aus\u00fcbung ihrer T\u00e4tigkeit eine Reihe von Vollmachten bekommen hat, unter strenge Kontrolle gestellt wird. So m\u00fcssen bei Eingriffen in Freiheitsrechte Richter diese anordnen – und die Exekutive darf diese Anordnungen nur ausf\u00fchren. In letzter Zeit h\u00e4ufen sich aber Gesetze – die nach dem Motto “Mir wean kann Richter brauchen” agieren. Grundrechtseingriffe d\u00fcrfen direkt durch die Exekutive durchgef\u00fchrt werden, ohne richterliche Genehmigung. Auch das ist problematisch.<\/p>\n

Grundrechte<\/a> sind nun Rechte des Staatsb\u00fcrgers die den B\u00fcrger vor dem Staat sch\u00fctzen sollen. Hier werden Rechte gesch\u00fctzt, die die Basis unserer Demokratie sind. Das Briefgeheimnis, das Versammlungsrecht, das Kommunikationsgeheimnis, die Redefreiheit. Warum wurde also z.B. die Vorratsdatenspeicherung vom sowohl Europ\u00e4ischen als auch \u00d6sterreichischen Verfassungsgerichtshof aufgehoben? Weil genau diese Vorratsdatenspeicherung tief in das Grundrecht der Kommunikationsfreiheit eingreift. Sind diese Grundrechte<\/a> unumst\u00f6\u00dflich? Nein. Ich darf deswegen trotzdem die Gesetze nicht verletzen. Die Aufhebung der Grundrechte<\/a> erfolgt im Normalfall bei Verdacht und durch Richter. Als Messkriterium f\u00fcr die digitale Welt verwende ich selbst meist einen Vergleich mit der analogen Welt. W\u00e4re es tolerierbar, wenn Beamte in jedem Postamt sitzen und Briefe aufrei\u00dfen? Nein – das w\u00fcrde niemand zulassen. Warum lassen wir das aber in der\u00a0digitalen Welt zu?<\/p>\n

Aus meiner pers\u00f6nlichen Sicht macht die Polizei einen ausgezeichneten Job. Spannend ist jedoch dass sich ihr Chef nicht in die erste\u00a0Reihe stellt und dar\u00fcber spricht, welche gute Arbeit die Polizei macht. Wichtig w\u00e4re auch die Polizei mit ausreichend Mitarbeitern auszustatten und vor allem auch Wissen \u00fcber neue Technologien<\/a> zu schulen. Die anlasslose Datenspeicherung produziert nur einen riesigen Heuhaufen in dem man die Nadel nicht mehr findet. Wichtiger hingegen w\u00e4re, konkreten Spuren nachzugehen und den Heuhaufen m\u00f6glichst klein zu machen. Dann w\u00e4re die Nadel besser findbar.<\/p>\n

Die Digital Society m\u00f6chte im Team\u00a0Grundrechte<\/a> Alternativen aufzeigen, wie wir in \u00d6sterreich Sicherheit\u00a0ohne vollst\u00e4ndige \u00dcberwachung und unter Einhaltung unserer Freiheitsrechte bekommen k\u00f6nnen. Aus unserer Sicht sind Freiheitsrechte und Sicherheit keine Widerspr\u00fcche. Oder wie bereits Benjamin Franklin gesagt haben soll, “Wer Freiheit aufgibt, um etwas tempor\u00e4re Sicherheit zu erhalten, wird am Ende beides verlieren.”<\/p>\n

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