{"id":14774,"date":"2017-02-03T11:44:12","date_gmt":"2017-02-03T10:44:12","guid":{"rendered":"https:\/\/press.ccc.at\/dsnew\/?p=14774"},"modified":"2021-01-11T08:23:26","modified_gmt":"2021-01-11T07:23:26","slug":"das-sicherheitspaket","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/digisociety.ngo\/2017\/02\/03\/das-sicherheitspaket\/","title":{"rendered":"Das Sicherheitspaket"},"content":{"rendered":"
Die \u00f6sterreichische Bundesregierung hat sich also ein neues Arbeitsprogramm gegeben. Das ist gut. Die Bev\u00f6lkerung m\u00f6chte, dass etwas weitergeht im Lande.<\/p>\n
In dem neuen Arbeitsprogramm ist auch ein sogenanntes “Sicherheitspaket” enthalten. Begr\u00fcndet wird die Notwendigkeit des Sicherheitspaketes mit dem subjektiven Sicherheitsgef\u00fchl in \u00d6sterreich. Die Bev\u00f6lkerung f\u00fchle sich unsicher, daher m\u00fcsse die Regierung hier handeln.<\/p>\n
Die Bev\u00f6lkerung f\u00fchlt sich unsicher. Diese Aussage ist vermutlich richtig. Aber woher kommt diese “gef\u00fchlte Unsicherheit”. Ist die Sicherheitslage in \u00d6sterreich und in Europa tats\u00e4chlich so prek\u00e4r? Sehen wir uns einmal statistische Daten dazu an. Die meistdiskutierte Gefahr in der \u00d6ffentlichkeit ist derzeit “Terror”, vor allem “islamistischer Terror”. Ausl\u00f6ser daf\u00fcr sind vor allem die Attentate in Frankreich und zuletzt auch in Deutschland. Im folgenden sehen wir uns alle Terroropfer seit den 70er Jahren in Westeuropa an:<\/p>\n
<\/p>\n
Wir sehen dabei dass das Gef\u00fchl richtig ist in 2015 und 2016 gab es tats\u00e4chlich mehr Tote als zuvor, und vor allem gab es eine H\u00e4ufung von Terroropfern in Frankreich. Durchschnittlich sehen wir aber, dass wir seit etwa der Mitte der 90er Jahre eine deutliche Abnahme des Terrorismus in Westeuropa bemerken k\u00f6nnen. In den 70er und 80er Jahren waren Terrorattentate offensichtlich viel h\u00e4ufiger als ab der Mitte der 90er. Nat\u00fcrlich ist jedes Opfer zu viel, und wir sollten alles daf\u00fcr tun, um Opfer zu verhindern – aber wir sehen an der Grafik deutlich dass es in Europa immer Terrorismus gab, und die letzten 20 Jahre die friedlichsten in diesem Sinne in Europa waren.<\/p>\n
Ein anderes Gef\u00fchl, dass wir uns ansehen wollen, ist – wie viele Verbrechen in \u00d6sterreich angezeigt wurden. Wir haben das Gef\u00fchl, dass wir in \u00d6sterreich nicht mehr sicher sind. Es gibt sehr viele Fl\u00fcchtlinge und Asylwerber in unserem Land, die – teilweise unkontrolliert – nach \u00d6sterreich gekommen sind. Einige Medienberichte legen nahe, dass in \u00d6sterreich jetzt viel mehr “passiert” als in der Vergangenheit. Das Gegenteil ist der Fall. Hier die offizielle Kiminalit\u00e4tsstatistik des BMI (hier abrufbar<\/a><\/strong>).<\/p>\n <\/p>\n Wir sehen, dass die Kriminalit\u00e4t in \u00d6sterreich stetig gesunken ist. Seit 2006 geht der Trend der angezeigten Delikte nach unten. Von 2014 auf 2015 gab es eine Abnahme um 1,9%.<\/p>\n Die Frage ist also – was macht die Politik falsch. Brauchen wir mehr \u00dcberwachung f\u00fcr die Bev\u00f6lkerung – oder sollten wir nicht eher daran arbeiten das Sicherheitsgef\u00fchl der \u00d6sterreicher zu heben, indem wir ihnen statt Angst einzujagen, Sicherheit geben – indem wir Erfolge besser kommunizieren?<\/p>\n Der Innenminister beklagt keine ausreichenden Werkzeuge zur Verbrechensbek\u00e4mpfung. Die Verbrecher k\u00f6nnen auf neue Technologien<\/a> zur\u00fcckgreifen, und die Polizei sei nicht ausreichend darauf vorbereitet. Wenn das stimmen w\u00fcrde, m\u00fcsste die Aufkl\u00e4rungsrate der Verbrechen sinken. In der gleichen vom BMI publizierten Statistik gibt es eine Grafik \u00fcber die Aufkl\u00e4rungquote der Verbrechen in \u00d6sterreich:<\/p>\n <\/p>\n Wir sehen hier also, dass die Polizei einen ausgezeichneten Job macht. Die Aufkl\u00e4rungsquote von Verbrechen der Polizei ist also in den letzten 10 Jahren stetig gestiegen. Dass die Verbrecher also massive Vorteile gegen\u00fcber der Polizei haben, ist statistisch nicht nachvollziehbar. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Polizei scheint besser ger\u00fcstet denn je – um ihrer Aufgabe nachzukommen.<\/p>\n Unser Innenminister hat offensichtlich ein einschneidendes Erlebnis in seinem Leben gehabt. Es gab eine Zeit in der ihm ein Unbekannter regelm\u00e4\u00dfig vor seine Haust\u00fcre geschissen hat. (Die Medien haben dar\u00fcber berichtet<\/a><\/strong>) (#gackigate<\/a><\/strong>). Er hat das Problem dahingehend gel\u00f6st, dass er eine \u00dcberwachungskamera installiert hat.<\/p>\n Was hier suggeriert wird ist, dass alleine durch die Installation von \u00dcberwachung die Kriminalit\u00e4t zur\u00fcckgeht. Das Modell ist immer das gleiche: Mehr Kameras, mehr Polizisten, mehr Vorratsdaten, usw. f\u00fchrt zu einem R\u00fcckgang von Kriminalit\u00e4t.<\/p>\n Mehr Polizeipr\u00e4senz an einem Ort f\u00fchrt nicht dazu dass es weniger Verbrechen gibt. Die Verbrecher weichen nur aus. Es ist so – wie wenn jemand sich eine Sicherheitst\u00fcre installiert. Dann wird halt nicht bei ihm eingebrochen, sondern beim Nachbarn, weil es dort einfacher ist. Genau so ist es mit einer Kamera – oder eben auch mit Polizeipr\u00e4senz. Die Verbrecher werden dorthin ausweichen, wo keine Kamera installiert ist, oder wo kein Polizist vor der Haust\u00fcre steht.<\/p>\n Genauso verh\u00e4lt es sich auch mit der \u00dcberwachung von bestimmten Kommunikationsformen. Wenn klar ist, dass z.B. die Handy Kommunikation unsicher ist, steigen die Verbrecher auf Kommunikationsformen um, die schwerer oder gar nicht \u00fcberwacht werden k\u00f6nnen (z.B. verschl\u00fcsselte Kurznachrichtendienste wie Telegram).<\/p>\n Die Wissenschaft sagt also, dass Verbrechen nicht verhindert werden kann durch die Polizei – sondern nur verwaltet. (siehe Artikel im Spiegel<\/a><\/strong>).<\/p>\n \u00dcberwachung kann also nur Verbrechen woanders hin verschieben, aber nicht verhindern.<\/p>\n Die Wiener Polizei hat diese Erfahrungen bereits auch selbst gemacht, und \u00dcberwachungssysteme die installiert waren, wieder abgebaut, weil die Kosten wesentlich h\u00f6her waren, als der Nutzen – und erwartete Effekte nicht eingetreten sind (siehe Artikel im Kurier<\/a><\/strong>). Ihr Chef, der Innenminister ist noch am Anfang dieser Lernkurve.<\/p>\n Grundrechte<\/a> sind grundlegende Rechte der B\u00fcrger vor allem gegen ihren Staat. Die Grundrechte<\/a> dienen zur Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordung in der wir leben (freie, demokratische Gesellschaft). Die Grundrechte<\/a> schaffen Freir\u00e4ume f\u00fcr individuelles Denken und Handeln. Es geht vor allem darum dass die B\u00fcrger eines Staates unbehelligt vom Staat ihren politischen Willen bilden und auch zum Ausdruck bringen k\u00f6nnen sollen. Das ist notwendig, damit unser Rechtssystem funktioniert.<\/p>\n Die Grundrechte<\/a> beinhalten in \u00d6sterreich beispielsweise:<\/p>\n In unserer Gesellschaft sieht man, dass offensichtlich die Sehnsucht nach “starken M\u00e4nnern” in der Bev\u00f6lkerung durchaus ausgepr\u00e4gt ist. Russland zum Beispiel ist offiziell eine Demokratie. Es gibt Wahlen und die Partei Putins bekommt auch Mehrheiten. \u00c4hnliches vollzieht sich derzeit auch in der T\u00fcrkei. Dennoch muss festgestellt werden, dass beide L\u00e4nder autokratische Z\u00fcge aufweisen. Die “starken M\u00e4nner”, versuchen ihre ihnen vom Volk verliehene Macht, dann zu festigen und auszubauen. Genau dazu gibt es Grundrechte<\/a>. Die Grundrechte<\/a> sollen die Fundamente unserer rechtsstaatlichen Ordnung sch\u00fctzen.<\/p>\n Wir sehen aber auch in westlichen Demokratien eine Tendenz zu autokratischen Z\u00fcgen. Die Wahl Donald Trumps und die erste Woche Regierungst\u00e4tigkeit hat deutlich vor Augen gef\u00fchrt, dass die Regierung Trump Grundrechte<\/a> nicht allzu ernst nimmt.<\/p>\n Spannend ist auch hier wieder, dass offensichtlich unsere Politiker weniger dazu tendieren die Grundrechte<\/a> zu sch\u00fctzen, und auch zu erkl\u00e4ren, wozu diese gut sind, sondern fest dabei mitspielen, die Angst der Bev\u00f6lkerung zu sch\u00fcren, und gleichzeitig fr\u00f6hlich daran arbeiten die Grundrechte<\/a> auszuh\u00f6hlen. Beispielsweise ist im neuen Sicherheitspaket die Aush\u00f6hlung des Fernmeldegeheimnisses enthalten, genauso wie die Forderung nach Einschr\u00e4nkung der Versammlungsfreiheit. Alles wird mit einem subjektiven Sicherheitsbed\u00fcrfnis argumentiert. Real gibt es keinerlei Argumente daf\u00fcr derartige schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte<\/a> vorzunehmen.<\/p>\n Es scheint aber so zu sein, dass ein Teil der Bev\u00f6lkerung dazu tendiert, dass die Freiheitsrechte gerne daf\u00fcr aufgegeben werden, wenn endlich Probleme gel\u00f6st werden, die real gar nicht existieren.<\/p>\n Zus\u00e4tzlich zu den oben genannten Problemen, gibt es eine Reihe an Details die Zeigen, dass die Firmen die beim Ausbau des \u00dcberwachungsstaates durch das Sicherheitspaket in \u00d6sterreich mitarbeiten sollen, derzeit nicht in der Lage sind die gew\u00fcnschten Daten zu liefern, und daf\u00fcr eigene \u00dcberwachungsinfrastruktur aufbauen m\u00fcssten, die nat\u00fcrlich wir – entweder als Kunden – oder als B\u00fcrger finanzieren m\u00fcssen.<\/p>\n So will z.B. der Innenminister auf die Kameras der ASFINAG zugreifen um Kennzeichenauswertungen durchzuf\u00fchren. Die ASFINAG setzt zwar solche Kameras (mobil) ein, Es gibt aber maximal 20 Kameras, die nach Bedarf eingesetzt werden, diese sind aber nicht dazu gedacht die \u00d6sterreichsichen Autobahnen fl\u00e4chendeckend zu \u00fcberwachen. Die Verkehrskameras der ASFINAG sind wesentlich mehr, diese taugen jedoch nicht zur Kennzeichenerkennung, weil die Aufl\u00f6sung dieser Kameras zu niedrig ist.<\/p>\n Auch beim Quick Freeze genannten Ersatz der vom Verfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung sagen die Telekommunikationsunternehmen eindeutig, dass die geforderten Daten von diesen Unternehmen derzeit gar nicht gespeichert werden<\/a><\/strong> (bzw. gespeichert werden d\u00fcrfen).<\/p>\n Man m\u00fcsste diese Unternehmen also dazu zwingen, eine \u00dcberwachungsinfrastruktur aufzubauen (\u00e4hnlich wie man es bei der Vorratsdatenspeicherung schon getan hatte) – und die Unternehmen dann auch daf\u00fcr Entsch\u00e4digen. Wir d\u00fcrfen uns also unseren “goldenen K\u00e4fig” voraussichtlich auch noch selbst bezahlen.<\/p>\n Die Kritik am geplanten Sicherheitspaket ist \u00fcberw\u00e4ltigend. Zu den Kritikern der Ma\u00dfnahmen z\u00e4hlen neben den bekannten Institutionen wie epicenter.works<\/a><\/strong> (ehemals AK-Vorrat) oder C3W (Chaos Computer Club Wien) auch der Rechtsanwaltskammertag und ihr Pr\u00e4sident Rupert Wolf<\/a><\/strong><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Sicherheitspaket und Arbeitsprogramm der Bundesregierung Die \u00f6sterreichische Bundesregierung hat sich also ein neues Arbeitsprogramm gegeben. Das ist gut. Die Bev\u00f6lkerung m\u00f6chte, dass etwas weitergeht im Lande. In dem neuen Arbeitsprogramm ist auch ein sogenanntes “Sicherheitspaket” enthalten. Begr\u00fcndet wird die Notwendigkeit des Sicherheitspaketes mit dem subjektiven Sicherheitsgef\u00fchl in \u00d6sterreich. 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Kritik<\/h2>\n